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3 Fragen an...

1. Warum ist der Wunsch nach Sicherheit im Zusammenhang mit einer beruflichen Tätigkeit generell so wichtig für viele Menschen?

Wir werden erzogen in einem entsprechenden Umfeld. Wenn Kinder mit vielen negativen Botschaften wie „Das darfst Du nicht“, Hans Wolff Graf 3 klein „Das tut man nicht“ oder „Wie kannst Du nur“ „gefüttert“ werden und mit einer ständigen Angst von ihren ebenfalls ängstlichen Eltern erzogen werden, dann brauchen wir uns nicht wundern, dass sie bzgl. ihres Lebens und Überlebens ebenfalls ängstlich werden. Dazu muss man auch wissen: 95 Prozent unserer Ängste sind gar keine realen Ängste, sondern fiktive, eingebildete Ängste. Besonders ängstliche Menschen werden dann Beamte und etwas weniger ängstliche suchen sich in einem großen Konzern scheinbare Sicherheit und nur diejenigen, die auch von Zuhause aus die entsprechend positiven Botschaften bekommen haben und ihr Leben wirklich nach eigenen Vorstellungen aufbauen wollen und nicht danach streben, Milliardär zu werden, die werden dann selbständig. Sie wollen ihr Leben selbst gestalten und etwas Sinnvolles mit ihrer wertvollen Lebenszeit anstellen. Sie wollen ihren Beruf zu einer Berufung machen. Denn die meisten Menschen stolpern erfahrungsgemäß ja eher in einen Beruf und merken dann nach 20, 30 Jahren, dass sie mit der Frage konfrontiert sind: Warum bin ich überhaupt das geworden, was ich geworden bin? Ist das etwas, was ich in den nächsten 20, 30 Jahren auch noch machen möchte. Bei vielen kommt es genau dann zum berühmten Burn-Out. Das Phänomen des Burn-Out ist ja nicht genetisch, sondern soziologisch bedingt.

 

2. Was ist dann eigentlich Arbeit?

Arbeit ist für mich ganz einfach: tätig sein. Man kann deshalb auch nicht zwischen Arbeit und Privat trennen. Diese Trennung ist für mich völlig dumm. Denn Sie nehmen Ihre privaten Sorgen mit an Ihre Arbeitsstelle und Ihre beruflichen Probleme auch mit nach Hause. Kein Mensch kann trennen zwischen Beruf und Privatleben. Aus diesem Grund gilt es, sich sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich ein Feld zu schaffen, in dem man gerne tätig ist. Ich verstehe auch nicht, warum man nach der 35-Stunden-Woche hechelt. Ich frage mich dann immer, was machen die Menschen dann ab Mittwoch? Als Selbständiger haben sie natürlich keinen 6- oder 8-Stunden-Tag. 


3. Was muss aus Ihrer Sicht passieren, damit die Vision von einer Welt von Selbständigen wirklich wahr wird?

Unsere Politik muss erstens ein Konglomerat aus Finanz-, Wirtschafts-, und Steuer- und Sozialpolitik sein und nicht auf getrennten Ebenen abgehandelt werden. Zweitens plädiere ich für eine absolute Religionsfreiheit, denn Religionen sind – wie alle Ideologien – der Nährboden für Ängste, die es im Grunde überhaupt nicht braucht. Wir sollten ein völlig anderes Bildungskonzept haben. Wir brauchen Pädagogen statt Lehrern. Mehr zu unseren Ideen und Konzepten finden sie auch auf unserer Website: http://www.d-perspektive.de Ich bin überzeugt, dass wir zu einer neuen Art von wirklicher Selbständigkeit finden werden. 



ÜBER HANS-WOLFF GRAF Logo Perspektive ohne Grenzen

Als Finanz- und Vermögensberater (seit 1972), lizensierter Vermögensverwalter, Unternehmensberater, Wirtschaftsjournalist, Autor sowie Dipl.-Psychologe und Dipl.-Pädagoge ist Hans-Wolff Graf in vielfältiger Weise aktiv. 1985 setzte er seine Idee, ausschließlich auf Honorarbasis und nur mit selbständigen Partnern zusammenzuarbeiten, um und gründete die Erste Finanz- und Vermögensberater AG in Deutschland. Mit dem PERSPEKTIVE ohne Grenzen e.V. gründete er 2006 eine alternative politische Bewegung, der er seine ‚alternativen Konzepte‘ vermachte. Als Gründer der pAS – private Akademie für die Selbständigkeit GmbH entwickelte er die Individuelle Transsystemische Psychologie.

 


Sie wollen wissen, was Herr Graf zu "Franchise" sagt? Dann lesen Sie hier weiter:

Wer hat eigentlich das Angestelltenverhältnis erfunden?

Das Angestelltenverhältnis ist ein soziologisches Phänomen, das sich mit der Stadtgründung und Sesshaftwerdung der Menschen entwickelt hat. Denn unser Konsumismus, aber auch die Einteilung in Selbständiger, Angestellter, Beamter u. ä. hat sich daraus ergeben, dass wir vor etwa 10.000 Jahren ein sehr einschneidendes Momentum in der Geschichte der Menschheit hatten – nämlich die Sesshaftwerdung im großen Stil. Das fällt zusammen mit dem letzten Teilchen der Entwicklung unserer Neocortex und dem Schluss des Corpus callosum. Mit der Gründung bzw. auch mit dem Wachstum der ersten großen Städte wie Jericho, Teben, Memphis usw. hat sich für die Menschen ein ganz anderes Verhältnis von Besitz und Eigentum ergeben. Es galt nicht mehr der als Führer, der der Stärkste war, der Fähigkeiten hatte im Bogen schießen oder in der Jagd, sondern es galt der Besitz. Damit hat sich ein völlig neues Denken entwickelt und eine neue Struktur in soziologischer Hinsicht. Das war – sozusagen – die Geburtsstunde des Angestelltenverhältnisses. Es galt ein völlig neuer Wertekatalog: Wer mehr hatte und das auch entsprechend zeigen konnte, der war der Boss. Die anderen haben dann bei ihm ihr Schutzbedürfnis befriedigt. Wenn nicht, sind die Menschen entweder weggelaufen oder sind zu jemand anderem gegangen, und haben sich dort „verdingt“.

Wie war vor der Sesshaftwerdung unsere Arbeits- und Lebenssituation?

Da hatten wir 99 Prozent Nomaden, die auf Besitz keinen Wert gelegt haben. Es gibt heute noch viele Sprachen, in denen es gar kein Wort für Besitz oder Eigentum gibt. Wir haben heute noch etwa 5 Prozent Nomaden auf der Welt. Nomaden nehmen immer nur das Notwendigste mit und legen keinen Wert darauf, irgendetwas mitzuschleppen. Alles, was sie dabei hätten, was überflüssig ist, würde sie einfach nur in ihrem Leben und Arbeiten behindern. 

Ist das Phänomen der digitalen Nomaden, die es mittlerweile immer häufiger gibt, ein Trend zurück zu der Zeit vor der Sesshaftwerdung?

Alleine in China haben wir – geschätzt – 60 bis 70 Millionen Wanderarbeiter. „Trending around the globe“ nimmt auf jeden Fall zu. Es gibt immer mehr Menschen, die ein Vierteljahr hier, ein Vierteljahr da und ein Vierteljahr dort leben. Wanderbewegungen sind nicht nur durch die, sogenannten Wüstlinge, sondern auch durch andere Dinge sehr evident. Es verändert sich laufend alles mögliche auf unserer Erde, u. a. die Lebensgewohnheiten und die Lebensbedingungen. Der Niedergang des schieren Konsumismus ist in meinen Augen eine sehr erfreuliche Tatsache. Man wird unabhängiger und freier, wenn man sich von dem Gedanken des Besitzes und des Eigentums löst.

In vielen Stellenanzeigen wird nach Mitarbeitern gesucht, die möglichst selbständig arbeiten sollen. Dennoch können sich viele Arbeitgeber nicht vorstellen, die gewünschten Leistungen statt durch angestellte Mitarbeiter durch wirklich selbständige Dienstleister erbringen zu lassen. Warum ist das so?

Das ist im Grunde genommen ein Euphemismus dafür, dass man den Menschen vorgaukelt, sie hätten Verantwortung und seien aufgerufen, selbständig a) zu denken und b) auch so zu handeln. Aber nach dem Motto: Wehe, sie tun es. Wenn sie wirklich selbständig sein wollen, müssen sie sich dazu auch bekennen. 

Wäre die Welt ein besserer Ort, wenn alle Erwerbstätigen im wirtschaftlich-rechtlichen Sinn selbständig arbeiten würden?

Ja, wobei nicht jeder dazu bestimmt ist, als Selbständiger zu arbeiten. Aber wir müssen die Menschen insgesamt wieder zu einer selbständigen Lebensführung bringen. Wir denken heute nur noch in „mein“, „dein“ und „eures“, anstatt zu sagen: Wir sind eins. Was wir brauchen, ist ein neues gemeinschaftliches Miteinander, in dem jeder von dem anderen lernt.

Gibt es einen Unterschied zwischen Selbständigen und Unternehmern?

Ein Unternehmer ist im Grunde derjenige, der etwas unternimmt. Jeder Selbständige sollte ein Unternehmer sein und sich dazu auch mit Leib und Seele bekennen. Es gibt aber schon einen Unterschied zwischen einem Selbständigen, der nur für sich selber schafft, also ein Künstler, der sich nur seiner Kunst widmet und jemandem, der sagt: Ich schaue, wo der relativ größte Bedarf ist und in dem spezialisiere ich mich. Dann habe ich einen USP geschaffen, der mich über alle anderen Konkurrenten hinaushebt.

Wie ist Ihre Meinung zu Franchise?

Franchise ist eine Zusammenfassung, die mehr juristische Hintergründe hat, als faktisch klar unterscheidbare. Ich kenne Franchiseunternehmen, die ihren Mitarbeitern und Partnern sehr weitgehende Rechte einräumen. Es gibt aber auch andere, die ihre Franchisenehmer sehr unter den Klauen halten und Angst haben, dass ihre grundsätzliche Idee verfremdet wird. Bestes Beispiel ist McDonald’s. McDonald’s hat überall das gleiche Zeichen – mit nur einer Ausnahme: das McDonald’s Zeichen in Salzburg. Nur dort ist das Zeichen anders. Alle anderen sind identisch. Es gibt aber auch Systeme, die wirklich im Team arbeiten. Sie treffen sich regelmäßig – ob per Skype oder per Telefonkonferenz, um gemeinsam neue Ideen zu entwickeln. Jeder kann sich dort einbringen. Das ist leider noch die Seltenheit. 


Interview in der BRAND EINS (2007): "Der Unbeugsame"
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